Wir befanden uns also im Moor des Kemeri Nationalparks eine halbe Stunde westlich von Riga. Hier ging es mit einem Geologiestudenten immer tiefer in das Moor.
Direkt stieg uns ein wahnsinnig intensiver Geruch in die Nase, wir befanden uns auf wildem Rosmarin und plötzlich fingen alle an wie wild Beeren zu pflücken und direkt zu essen. Wir waren erst einmal skeptisch – rote Beeren?! Der Guide erklärte, dass es sich um Cranberries handelt, die anderen schienen es zu vertragen und so trauten wir uns auch. Fühlten uns aber bei den wilden Heidelbeeren deutlich sicherer.
Dann gab es wichtige Moorlektionen:
Rotbraun – sicher
Dunkelgrün – geht noch
Hellgrün – Chance 50:50 auch trotz Moorschuh unter zu gehen 🤪
Wisst ihr eigentlich den Unterschied zwischen Moor und Sumpf?
Ein Moor ist durchgehend nass und es bildet sich Torf, ein Sumpf kann auch austrocknen und es bildet sich nur Humus.
Dann kamen wir zur größten Wasseransammlung und hier konnte man baden. Tony sprang aus den Moorschuhen direkt in die Badehose.
Es sah so lustig aus, wie der Boden unter ihm nachgab. Das Wasser war tiefschwarz wie Cola und hatte einen säuerlichen intensiven Geruch (super dieses Moorungeheuer schläft heute neben mir im Zelt🤪).
In der Dämmerung ging es zurück zum Auto es war bereits 22:30 und wir wussten noch nicht wo wir schlafen, also altbewährte Taktik – einfach losfahren. Wir fanden einen Campingplatz am Meer, bauten das Zelt auf und schliefen – diese ganze frische Luft macht aber auch müde.
Am nächsten Morgen wollte ich auch endlich in die Ostsee baden gehen. Ich gebe zu, es war ein Akt. Das Wasser hier im Norden ist wirklich sehr kalt – hat es 15min gedauert bis ich nass war – vielleicht!
So erfrischt warfen wir uns in stadttaugliche Kleidung und wir rollten nach Riga. Unser erstes Ziel war der Art Nouveau Walk durch die Jugendstil- Hauptstadt Riga, 40 % aller Gebäude in Riga lassen den Art Nouveau Stil erkennen, viel mehr als in jeder anderen Stadt der Welt.
Ich habe noch nie so viel in einer Walking Tour gelernt, war aber auch noch nie auf so einer nerdigen – ähm – speziellen Tour.
Wir ließen uns ein Restaurant von den Locals empfehlen. Da es nicht so wirklich lettische Küche gibt, durch die zahlreichen Fremdherrschaften – dänisch, deutsch, schwedisch, russisch – wurde auch die Küche geprägt.
Wir landeten in einem Fine Dining Restaurant, die mit regionalen und saisonalen Zutaten arbeiten.
Es war super lecker und wir beschlossen, dass wir in jeder Hauptstadt Fine Dining probieren wollen.
Zum Sunset ging es an den Hafen. Was soll ich sagen, ein perfekter Sunset in der Stadt.
In Old Town lockte uns der lettische Nationalschnaps Balsam in eine Bar – puh ich verstehe langsam warum sie hier auch in so kaltes Wasser gehen können, nach diesem Schnaps fühlt man nichts mehr.
Tony musste am nächsten Morgen etwas mehr Wasser trinken, dass wir „fit“ bei der Old Town Tour aufschlagen konnten.
Danach machten wir uns auf zum Markt, denn unsere Vorräte neigten sich dem Ende. Wir wollten regional lettisch essen und kauften Pfifferlinge, Steinpilze, dunkles Brot und Sour Cream.
Wir verließen schweren Herzens Riga und suchten uns einen netten Platz am Meer.
Durch die ein oder andere Falschabbiegung landeten wir direkt am Strand.
Tony hatte plötzlich Spaß am Kochen. Obwohl kochen kann ich es nicht nennen, wenn man die geputzten Pilze und die anderen geschnittenen Zutaten hingestellt bekommt und dann nur umrührt 🤪.
So gestärkt konnten wir, nachdem ich den Abwasch erledigt hatte, den Sunset genießen.
Am nächsten Morgen wartete die Fähre nach Saaremaa – der größtes Insel Estlands und nach 27min waren wir bereits da.
Es ging zum Kaali-Meteoritenkrater. 110m Durchmesser und man geht davon aus, dass der Meteorit ursprünglich 400 bis 10.000 Tonnen schwer war und einer Geschwindigkeit von 15 bis 45 km/s hatte. Er zerbrach beim Eintritt in die Atmosphäre und das größte Bruchstück von 20 – 80 Tonnen erzeugte den Hauptkrater. Wenn da nicht mein geheime Leidenschaft für alte Steine wieder aufblüht.
Wo kann man sonst in Europa schon in einem Meteoritenkrater rumlaufen?!
Dann ging es im Sonnenschein über die Insel, die wie es sich gehört einen angemessenen Leuchtturm besitzt.
252 Stufen waren so anstrengend, dass direkt einmal wieder Fisch auf den Tisch musste.
Heute wollten wir Wildcampen. Fließend Wasser, eine Küche und WLAN sind doch kein echten Camping. Ich fand einen Spot mit einer Option für eine Wanderung über die Sandbank zu weiteren kleine Inseln (so unsere naive Vorstellung).
So idyllisch es aussieht, es war die Mückenhölle – als ob sie auf uns gewartet hätten. Der Zelteinstieg wirkte mehr wie eine Ninjarolle um möglichst kurz den Reißverschluss zu öffnen.
Die „Natur“ weckte uns als eine Riesenheuschrecke im Zwischenzelt gefangen war und in ihrem Todeskampf gegen die Plane hopste. So konnten wir nach einer Autansalbung zur Wanderung starten.
Und da klirrte meine Erwartung des romantischen Sandbankspaziergangs. Wir steckten bis zum Oberschenkel im sumpfigen braunen Wasser zwischen Schilf – ohne Aussicht auf Besserung. Die Mücken waren auch wieder aufgewacht, also kehrten wir um…
Wir fanden einen mückenfreien Frühstücksspot am Panga Kliff und konnten hier die Morgenerkundung trockenen Fußes beenden.
Danach ging es zurück aufs Festland. Ich hatte eine Ruine aus Sowjetzeiten bei Rummu gefunden, ehemalige Abbaustätte von Kalkstein, indem die Häftlinge aus dem benachbarten Gefängnis arbeiten mussten.
Ich muss ja sagen, dass ich selbst Schuld bin, was recherchiere ich auch so gründlich – Tauchgang in der Ruine.
Mir war schon etwas mulmig – Süßwasser und in eine Ruine reinschwimmen?! Doch da ging es schon los! Scheinbar gibt es in Estland nicht das Komplettpaket – so musste man alles selbst zusammen bauen – really?! Ich schaute alles bei dem professioneller wirkenden Mittaucher ab. Dann wollte ich die Flasche öffnen und plötzlich zischte und knallte es. Angeblich habe ich die Flasche zu schnell geöffnet, dann machte es der Chef – selbes Ergebnis (sein Capi flog über den halben Steg). Als Antwort kam nur „that has never ever happened before”. Er folgte dreimaliges Wechseln aller Bestandteile und dann wurde ein fehlender Dichtungsring als Ursache identifiziert – andere Länder andere Sitten?!
Mir war immer noch ein bissel mulmig als es dann losging, doch bei einer Maximaltiefe von 12m, würde ich auch so das Auftauchen schaffen.
Es ging entlang einer Unterwasserausstellung, die an manchen Stellen echt spooky war – Hände die aus dem sandigen Boden ragten, Tisch mit einem umgefallenen Stuhl und dann die Gitter der Zellen. Dann musste man in die Ruine reinschwimmen, es war so eng, dass ich natürlich mit meiner Flasche hängen blieb – bin nie so gut im Austarieren.
Fazit: Ruinentauchen haben wir gemacht, reicht aber.
Am nächsten Morgen ging es nach Tallinn und wir starteten gewohnt zur Einstimmung mit der Free Walking Tour. Ich verliebte mich direkt in diese märchenhafte Mittelalterstadt.
Tallinn hat durch die wechselnden Herrscher (dänsich, deutsch, schwedisch, russisch, Nazis, Sowjets) viel erlebt. Ich erspare euch die Details, wer aber wissen will, woher die Dänen ihren Flagge haben – ich stehe zur Verfügung 🤓.
Die Tour endete am „Teufelshaus“, hier habe der Teufel in dem damaligen Gasthaus Hochzeit gefeiert, weil das Zimmer so verwüstet war, wurde das Fenster zugemauert, ein Topf voller Gold war natürlich auch im Spiel – und heute ist hier eines der besten Restaurants der Stadt – wo hatte ich wohl eine Reservierung!
Wir erkundeten die Stadt weiter und kletterten auf Linnahall oder auch Lenin Kulturpalast.
Noch so eine Sowjetruine, erbaut für die Olympischen Spiele 1980 in Moskau für Segelwettkämpfe. Danach genossen wir den Blick über die Stadt von der ehemaligen KGB Zentrale. Warum nicht in der versteckten obersten Etage des größten Hotels? Hier kommt man sicher an viele Informationen der internationalen Gäste.
Es wurde Zeit für unser Dinner im „Teufelshaus“ bzw. Rataskaevu 16 – Das Restaurant hat keinen richtigen Namen – mystisch.
Was soll ich sagen, es war teuflisch gut.
Am nächsten Tag hatte uns Tony die Low Budget Fähre nach Helsinki gebucht. Wir wussten nicht warum sie weniger als die Hälfte der Tallink Fähre kostet. Die erste Kalkulation der Rettungsboote – könnte knapp werden 🤪.
Wir erkannten schnell, dass Fähre genauso ein Paralleluniversum ist wie ein Flughafen – alle stürzten zur Bar und los ging es.
Nach 2 Stunden erreichten wir Helsinki und ich hatte noch den Kanten Brot von unserem Frühstückstoast in der Tasche und plötzlich saß da eine Möwe.
Also zu meiner Verteidigung ich dachte die Möwe wird schon wissen wann sie satt ist, aber sie aß alles! Nachdem letzten Happs hatte sie nicht mehr den Schnabel zu bekommen, dann machte sie ganz merkwürdige Bewegungen mit dem Hals, rang nach links und rechts und wir haben uns schon beim Heimlich Manöver an der Möwe gesehen. Dann versuchte sie loszufliegen, schafftes nur gerade so zur Reling. Wir waren hin und her gerissen die Bewegungen sahen so lustig Comic-mäßig aus, aber hatte ich vielleicht eine Möwe auf dem Gewissen?! Sie flog dann auf Meer hinaus…fliegen Möwen nicht zum Sterben aufs Meer? Ich denke sie wollte nur was trinken?!
In Helsinki erkundeten wir die Stadt und ich hatte bei jeder Möwe Angst, dass die Rache der Möwen noch auf mich wartet – wenn sich der Toastbrotzwischenfall rumgesprochen hätte.
Wir wollten uns finnisch fühlen und so gingen wir ins Konstan Mölja – es wirkte wie ein kleines finnisches Landhaus, die Kellnerin in Tracht und es gab alles was unser Fischherz höher schlagen ließ. Dann natürlich Rentier und „Vorschmack“ das ist Kuh, Lamm und Anchovis zusammenpürriert dazu natürlich Soure Cream und Pickels – wohl ein Lieblingsessen eines ehemaligen finnischen Präsidenten und jetzt auch meins.
Wie konnten wir anders als den Abend in der finnischen Sauna direkt mit Blick über den Hafen und mit Meereszugang ausklingen zu lassen.
Wow und finnische Sauna ist echt eine ganz andere Liga – schon beim Eintreten, dachte ich, dass ich in Flammen stehe (90 Grad), das wurde bei jedem Schritt nach oben natürlich noch schlimmer, am liebsten wäre ich direkt wieder umgedreht, aber diese Blöße wollte ich mir nicht geben. Ich hatte das Gefühl meine Augen sind beschlagen und das einatmen brannte. Doch dann wurde es erst richtig schlimm als ein Finne zum Aufgußeimer griff – Fuck! Hier war die Devise – More is More! Ich ergriff die Flucht.
Wir versuchten die lower 60 Grad Sauna und das war auf der untersten Bank okay. Da hatte mich der finnische Saunagott „Schwitzi“ gepackt und ich wollte jetzt auch wie die anderen in die Ostsee. Ich ließ erstmal alle vor, dass ich nicht an der Leiter unter Druck gesetzt wurde, für finnische Verhältnisse dauerte es lang für meine super schnell 💪🏻.
Am nächsten Tag erkundeten wir mit einem Local die Stadt, wir waren in der Felsenkirchen, querten den Markt vor dem Dom. Hier waren spontan Blumenkübel aufgestellt worden um den Platz zu begrünen, da wegen Covid keine/weniger Touristen unterwegs waren.
Danach beschlossen wir alles für ein Picknick zu kaufen und auf die Insel Soumenlinnan mit der Fähre überzusetzen (15min Fahrt). Wir holten uns auf dem Markt noch eine Portion frittierte Sprotten und da passierte es – die Möwenrache, Überraschungsangriff, Tony verteidigte die Fischchen aber gut.
Soumenlinnan ist die alte Festung der Stadt, die den Schweden, Deutschen und Russen als Verteidigungsstellung diente.
Danach erkundeten wir die kleinen Inseln (Trail 2km) und genossen das schöne Wetter und Tony musste an jeder Kanone stehen bleiben.
Zurück auf dem Festland mussten wir unserer neuen Tradition folgen – Dining! Wir starteten mit Austern und dann gab es für Tony Surf&Turf (Hummer und finnisches Entrecôte) und ich hatte Lachs mit fermentierter Gurke und Weißfisch auf Algen mit Pfifferlingen.
Die 24km Erkundung durch die Stadt machten sich bemerkbar und wir fielen ins Bett. Am nächsten Morgen ging es mit unserer Low Budget Fähre zurück nach Tallinn.
Ob wir es trocken zurück geschafft haben? Genau, das gibt es im letzten Teil unseres Covid-Roadtrips.
Hei Hei Juli